Radek Sikorski – Krisenmanager und Verbalrabauke
Die Rolle des polnischen Players in der Sicherheitspolitik
Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hat mal wieder eine klare Ansage von sich gegeben - er warnte vor einer zu frühen Aufnahme der Ukraine in die NATO.
„Das wäre eine Einladung, gegen Russland in den Krieg zu ziehen“, so der Politiker, der sich im Interview mit der polnischen Zeitung Rzeczpospolita vom Freitag auf eine mögliche Einladung der Ukraine zum NATO Gipfel in Washington bezog, der im kommenden Juli stattfindet. https://www.rp.pl/polityka/art40042301-radoslaw-sikorski-wybory-w-usa-nie-stawiamy-wszystkich-zetonow-na-jedno-pole
Hoffnungen auf eine Mitgliedschaft hatte zuvor der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gemacht: „wir arbeiten hart daran, dass es so schnell wie möglich geschieht.“ erklärte der Norweger gegenüber dem „Deutschlandradio“, die Ukraine sei „so nah wie nie an der Mitgliedschaft“. https://www.deutschlandfunk.de/jens-stoltenberg-nato-ukraine-100.html
Sikorski hat hier mit Klartext diesen Traum platzen lassen, eine rote Linie gezogen, das ist typisch für ihn.
Auf der anderen Seite hatte er zuvor erklärt, das „westliche Soldaten“ bereits in der Ukraine seien, nicht jeder westliche Sicherheitspolitik war über ein solches Nach-Vorne-Preschen begeistert sein.
Der 61-jährige spielt in der Krisenzone zwischen dem Westen, der Ukraine und Russland eine maßgebliche Rolle. Er gilt als erster Kandidat eines künftigen „EU-Kommissars für Verteidigung“, ein Amt dessen Gründen die Vorsitzende der EU-Kommission Ursula von der Leyen im Februar vorgeschlagen hatte.
Sicherheit ist sein Thema. Den Krieg kennt Sikorski aus eigener Anschauung: in den Achtziger Jahren berichtet der Oxford-Absolvent als Reporter für britische Zeitungen sowie das US-Magazin „National Review“ aus Afghanistan und Angola.
In der Zeit nach der Wende half er als stellvertretender Verteidigungsminister und Außenminister beim Prozess der NATO-Mitgliedschaft Polens. Später war er als Verteidigungsminister in der ersten Regierung der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) 2005 bis 2007, wechselte jedoch zur Bürgerplattform (PO), welche unter Donald Tusk und Ewa Kopacz bis 2015 regierte und wirkte dort als Außenminister.
In dieser Zeit wandelte er sich vom „atlantischen Falken“, er war einige Zeit in dem konservativen Thinktank American Enterprise Institute unterwegs, zu einem Befürworter einer mehr Europa-zentrierten Sicherheitspolitik. Nach dem kurzen Krieg zwischen Russland und Georgien 2008 konnte Sikorski als Außenminister, zusammen mit dem schwedischen Amtskollegen Carl Bildt das EU-Projekt „Östliche Partnerschaft“ https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eastern-partnership/ etablieren, bei dem ehemalige Sowjetrepubliken Unterstützung aus Brüssel für prodemokratische Reformen erhalten. Darunter ist auch die Ukraine. Damals gab es aus Deutschland viel Gegenwind – das könnte doch den Kreml zu sehr brüskieren. Und “brüsk” ist ein gutes Stichwort. Der Chef der polnischen Diplomaten bediente sich oft einer sehr direkten Sprache.
„Ihr werdet alle tot sein“ beschied er der ukrainischen Majdan Opposition bei den Verhandlungen 2014 in Kiew, sollten sie den Kompromiss mit Wiktor Janukowitsch nicht akzeptieren.
Seine teils vulgär-abwertenden Äußerungen zum polnisch-amerikanischen Verhältnis, die 2013 in einem Restaurant von Unbekannt heimlich aufgezeichnet wurden, führten 2015 zur Wahlniederlage seiner Regierung gegen die nationalkonservative “Recht und Gerechtigkeit” (PiS). Bei diesen Gesprächen kamen auch seine unangenehmen Züge deutlich zum Vorschein, eine Arroganz, eine Herrenreiter-Attitüde, wie man sie sich in englischen Clubs vorstellt, wo bei steifen Drinks schlüpfrige Witze gerissen werden. So wurde er für die PiS und ihre Anhänger, zum Zerrbild einer abgehobenen Elite. Ein volksnaher Politiker zum Anfassen ist er nicht.
Seine außenpolitische Kompetenz zählt, durch Donald Trumps Präsidentschaft und dessen negativer Einstellung zur NATO bekam Sikorskis Idee einer europäischen Verteidigung mehr Gewicht.
Auch Pesco, die EU- Plattform für die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, wurde in der Trump-Periode gegründet.
Mit der Rückkehr der „Bürgerplattform“ (PO) an die Regierung, in Verbund mit der liberalen Kleinpartei „Modernes Polen“ als „Bürgerkoalition“ (KO) konnte trotz Protest auch Sikorski seit Dezember als Außenminister und wichtiger Player zurück kommen, niemand von der politischen Klasse in Polen ist international so vernetzt wie er.
Ging es nach ihm, würde die EU eine „schnelle Eingreiftruppe“ finanzieren, sowie eine Verbesserung der Infrastruktur der Europäischen Staaten, eine Art Schengenzone für Panzerbewegungen genehmigen, zudem seien gemeinsame Rüstungs-Investitionen im Rahmen von PESCO notwendig. https://www.gov.pl/web/diplomacy/minister-sikorski-speaks-at-the-university-of-warsaw-about-the-future-of-european-defence
„So dass wir nicht komplett wehrlos sind, sollte Amerika anderweitig engagiert sein“ wie er es typisch sarkastisch gegenüber den polnischen Medien ausgedrückt hat. Sein Sohn ist übrigens amerikanischer Soldat, Sikorski ist mit der Amerikanerin und Publizistin Anne Applebaum verheiratet.
Einen kommenden US-Präsidenten Trump wollte Sikorski jedoch nicht „panisch“ bewertet sehen. „Polen will die bestmögliche Beziehungen zu jeder amerikanischen Regierung haben.“, bei einem Besuch in Washington Mitte, wo Premier Donald Tusk und Präsident Andrzej Duda selten einträchtig bei Joe Biden für mehr Munitionslieferung an die Ukraine warben, ließ Sikorski schon mal seine Kontakte im Lager der Republikaner spielen.
Einen US-Präsident Trump mag Sikorski nicht „panisch“ bewertet sehen. „Polen will die bestmögliche Beziehungen zu jeder amerikanischen Regierung haben.“ https://www.rp.pl/polityka/art40042301-radoslaw-sikorski-wybory-w-usa-nie-stawiamy-wszystkich-zetonow-na-jedno-pole
Auch mit deutschen Ansprechpartnern pflegt Sikorski ein entspannteres Verhältnis als seine nationalkonservativen Vorgänger, wenn er auch Scholz für dessen Weigerung deutlich kritisiert, die Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. https://www.rp.pl/konflikty-zbrojne/art40026491-radoslaw-sikorski-krytykuje-niemcy-za-zwloke-w-wysylaniu-broni-na-ukraine-slabosc-zacheca-do-agresji-sila-odstrasza
Die Ukraine, für deren Verteidigung er wirbt, bietet bald eine diplomatische Herausforderung – mit dem östlichen Nachbarn muss am 28. März in Warschau ein Abkommen zum Streit um die Einfuhr von ukrainischen Agrarprodukten aufgestellt werden. https://jensmattern.substack.com/p/polen-bauern-auf-den-barrikaden
Um in der kommenden Zeit international gut vertreten zu sein, greift Sikorski derzeit mit dem eisernen Besen durch: am 14. März kündigte er an, dass 50 Botschafter ihren Poste räumen sollen.
Somit muss Sikorski sich auch innerhalb Polens durchsetzen: Staatspräsident Andrzej Duda, mit der PiS verbunden ist, stellt sich quer, zumal er bislang mit seinen Interventions-Versuchen gegen die Regierung gescheitert ist. https://www.euractiv.de/section/europa-kompakt/news/spektakulaere-verhaftung-polnischer-abgeordneter-im-praesidentenpalast/
Duda, der Kraft seine Amtes die Außenpolitik mitgestaltet, verlangt nun bei manchen Botschafter-Posten mitzureden.
Der Doktor der Rechte verwarnte und belehrte den Außenminister: „Es kann kein Botschafter berufen oder abberufen werden, ohne die Unterschrift des Präsidenten.“
Seine Kanzlei gab zudem eine Liste von Diplomaten heraus, welche nicht abgerufen werden dürfen. Dazu gehört etwa der amerikanische Botschafter Marek Magierowski, ein ehemaliger enger Mitarbeiter des Präsidenten.
Sikorski will in Washington jedoch den ehemaligen Verteidigungsminister Bogdan Kilch als Sicherheitsexperten plazieren. https://natemat.pl/548282,kto-jest-ambasadorem-polski-w-usa-min-sikorski-rzucil-nazwisko-kandydata
Premierminister Donald Tusk hat hierzu angekündigt, notfalls bis zum Amtende Dudas die neuen Diplomaten als Geschäftsführer einzusetzen, sprich - ohne den Segen des Präsidenten, der bis August 2025 wirken darf.
Doch das polnische Staatsoberhaupt kann Sikorski bei seinem möglichen Wechsel zum EU-Kommissar dazwischen grätschen – denn auch hier ist die Unterschrift des Präsidenten notwendig.
Für Sikorski warten somit viele Herausforderungen als Krisenmanager, dazwischen grätschen kann dabei sein loses Mundwerk und seine überhebliche Attitüde.