Polen: Politische Oper an der Grenze
Crescendo des patriotischen Leitmotivs östlich von Oder und Neiße
Die deutsch-polnische Grenze ist eine politische Bühne.
Als Ensemble-Fußvolk wirken die polnischen Mitglieder „Bürgerpatrouille“, welche an den deutschpolnischen Grenzposten patriotisch-martialisches Liedgut anstimmen. Zu den Solisten gehören Robert Bąkiewicz, ein nationalistischer Aktivist, welcher mit der ehemaligen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) verbunden ist. Stimmgewaltig auch Mateusz Morawiecki, der vormalige PiS-Premier, sowie Polens Staatspräsident Andrzej Duda und dessen designierter Nachfolger Karol Nawrocki.
Der Intendant, Polens Premierminister Donald Tusk, fällt hier nur als eine kleinlaute Nebenstimme auf. Zudem wirken Asylsuchende aus verschiedenen Ländern als unfreiwillige Akteure des lauten Spektakels mit.
Scherz beiseite – viele Beobachter an der Weichsel fragen sich, ob die Koalition unter Tusk noch lange Bestand haben kann.
Die Situation an der Grenze scheint die größte Belastungsprobe zu sein.
Da der deutsche Kanzler Friedrich Merz Kontrollen an der Grenze zu Polen im Mai verstärken ließ, sie wurden schon im Oktober unter Olaf Scholz eingeführt, konterte diese Woche Polens Premierminister Donald Tusk mit der Ankündigung, am kommenden Montag auf polnischer Seite das selbige zu tun.
Der Aufreger sind jedoch nicht allein die Staus, welche sich auf polnischer Seite bilden und das damit verbundene Leiden der Pendler in beiden Ländern, die eigentlich der Schengen-Zone angehören. Vor allem Tesla-Mitarbeiter östlich der Oder werden es schwer haben, zur Arbeit und zurück zu kommen.
Vor allem die Tatsache, dass Deutschland Asylsuchende nach Polen zurückschickt, sorgt dort für Emotionen. Schon Ende Mai drohte darum Donald Tusk die Grenzkontrollen einzuführen.
Abgeschoben nach Polen werden durch deutsche Grenzbeamte Migranten, welche vornehmlich illegal über die belarussische Grenze nach Polen gelangten und dann weiter nach Deutschland oder andere westeuropäische Länder reisten. Das Zurückverweisen entspricht dem Dublin-Abkommen, wonach das Einreiseland sich mit der Asylprozedur zu befassen hat. Die Führung in Warschau will das nicht hinnehmen, sie kann es auch politisch nicht. Der Druck in der Bevölkerung ist zu groß, 75 Prozent lehnen dies ab. https://www.bankier.pl/wiadomosc/Polacy-nie-chca-migrantow-Mocne-wyniki-sondazu-8894610.html
Derzeit wäre die Umfragewerte wohl noch deutlicher, die polnischen Öffentlichkeit ist durch die Attacke eines Staatsbürgers aus Venezuela auf eine 24-jährige Frau Mitte Juni in einem Park in Thorn (Toruń) aufgewühlt. Sie verstarb Anfang dieser Woche an den Folgen der Messerverletzungen . Der Angreifer habe ihr die Augen ausgestochen, so die mündlichen Erzählungen. Wenn der Täter auch mit einem Touristenvisum in Spanien eingereist war - die Stimmung in Polen kümmert sich nicht um solche Details.
Gleichzeitig erodiert das Vertrauen für die Regierungskoalition, welche aus drei Parteienbündnissen bestehen. Deutliche trifft es die Tusk-Allianz „Bürgerkoalition“ die nur noch 26,5 Prozent erhält, über fünf Prozent weniger als vor drei Wochen. https://wiadomosci.onet.pl/kraj/duzy-spadek-ko-zmiana-na-szczycie-nowy-sondaz-partyjny/54dqq92
Das Bündnis „Dritter Weg“, welches sich aus der pragmatisch programmierten Agrarpartei PSL und der katholischen „Polen 2050“ zusammensetzt, schaffte es nicht mehr ins Parlament. Deren Politiker haben darum schon mal (Sondierungs?)-Gespräche mit der PiS führen,
PSL-Chef und Polens stellvertretender Regierungschef Wladyslaw Kosniak-Kamysz übt sich darum auch in der PiS-Tonlage.
„Nein, Nein!” meinte er emotional im privaten Sender TVN24 als Reaktion auf einen Vorschlag des deutschen Innenministers Alexander Dobrindt, gemeinsame Grenzkontrollen umzusetzen.
„Uns wird kein Herr Minister aus Deutschland sagen, was wir zu tun haben“, schickte Kosniak-Kamysz hinterdrein, der noch das Amt des Verteidigungsministers und zumindest verbal sein Land vor jeder deutscher Vorschlags-Invasion verteidigt.
Wohl mit auch ein Grund für die Konzeptlosigkeit der Regierung um Donald Tusk ist ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit: am ersten Juni verlor ihr Kandidat Rafal Trzaskowski, Stadtpräsident von Warschau, gegen den Ex-Hooligan Karol Nawrocki, welchen die ehemalige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) aufgestellt hatte. Der gelernte Historiker wird Amtsträger Andrzej Duda, ebenfalls von der PiS aufgestellt, am 6. August beerben. Als „Erbe“ wird er zudem dessen Blockadepolitik übernehmen, Kraft seines Amtes kann das Staatsoberhaupt wichtige Regierungsentscheidungen blockieren. Obwohl 54 000 Wahlbeschwerden eingingen und es zu Stimmenverwechslungen und weitere Unregelmäßigkeiten gekommen war, erkannte die „Oberste Kontrollkammer“, ein Teil der Obersten Gerichts die Rechtmäßigkeit der Wahlen an. Diese Kammer wird von der Regierung als nicht rechtmäßig anerkannt, sie ist ein Produkt der PiS-Justizreform, besetzt mit PiS-Juristen. Doch jene Institution würde sich nur mit Hilfe des Präsidenten auflösen lassen.
Die Schwäche der Führung in Warschau zeigt sich auch dadurch, dass das Treiben einer Art Bürgermiliz an der Grenze zu Deutschland einige Tage lang von den polnischen Behörden toleriert wurde. Die Mitglieder der bereits erwähnten „Grenzpatrouille“, https://www.facebook.com/patrolobywateli/?locale=pl_PL hielten beispielsweise Autos an, um zu schauen, ob sich dort Migranten befinden. Auch wurden bereits Asylsuchende zurück geschickt. Leiter dieser Organisation ist Robert Bąkiwiecz, welcher lange den nationalistischen “Marsch der Unabhängigkeit” organisierte und als einer der profiliertesten Ultrarechten des Landes wirkt. Nun schaltet sich die Staatsanwaltschaft zu dieser Selbstjustiz ein und darauf reagierte der Staatspräsident mit Unverständnis: „Das sind Leute, welche dies aus gutem Willen tun, um die Sicherheit ihrer Nächsten zu gewährleisten, ihrer Familien und die von uns allen.“ verteidigte Duda die Aktivisten vom rechten Rand, denen er am Donnerstag seinen persönlichen Dank aussprach, Nachfolger Karol Nawrocki blies hier ins gleiche Horn.
Der Tenor des ehemaligen Regierungschef Mateusz Morawiecki war ähnlich - der ehemalige Bankenchef hielt sich am Donnerstag in Polen nahe Zittau auf und tönte in die Mikrophonen „Wenn die Regierung nicht handelt, müssen wir uns selbst verteidigen! “Ein „Hybridkrieg“ der Regierungen in Berlin und Warschau werde gegen das polnische Volk geführt.
Als Antwort wies der stellvertretende Innenminister Czeslaw Mrozek darauf hin, dass vor zwei Jahren, zur Regierungszeit der PiS 12 000 Migranten illegal die grüne Ostgrenze nach Polen passiert habe, dieses Jahr seien es bislang alleine 800 Personen. Ob diese nüchterne Analyse gegen das laut vorgetragenen Pathos der Rechten ankommen kann, darf bezweifelt werden.
Am Montag werden nun die Grenzkontrollen eingeführt, mit kaum kalkulierbaren Folgen. Die Rechten stimmen jetzt schon eine Siegesarie an, schließlich hätten sie die Regierung zu diesem Schritt gezwungen und hoffen nun, dass die Führung in Warschau ihr endgültiges Lamento erklingen lässt.